Über mich

Goldene Pferde aus dem Osten

Seltene Pferde, eine Frau und ein Verein

(Ausschnitte aus dem Interview 2007  „Allgemeine Zeitung Mainz“ / Michael Wenke)

Seit 1990 setze ich mich für Minderheiten ein: Für seltene Pferderassen aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, allen voran den Karabagh. Dabei habe ich viel Erstaunliches entdeckt, viel Interessantes erlebt und noch viel mehr in Bewegung gesetzt.

Alles begann mit einem kleinen Fuchshengst, über den ich, damals Lehrerin in Ginsheim-Gustavsburg, im Jahr 1990 auf der Suche nach einem Geländepferd stolperte. „Der kommt aus Russland,“ sagte man ihr damals, „muss wohl viel Araberblut drin sein.“ In der Anzeige stand "Russisches Edelblut" zu verkaufen.

Der Zerfall der Sowjetunion spülte zu dieser Zeit geradezu massenhaft Pferde nach Westeuropa – sie wurden von Händlern günstig eingekauft, weil es vielen Züchtern und Betrieben nach etlichen Jahren Perestrojka nicht nur schlecht, sondern hundsmiserabel ging und sie nun die Gelegenheit ergriffen, endlich gegen harte Devisen ins Ausland verkaufen zu können. Auch die Sowjetunion selbst nutzte den Pferdemarkt als Beschaffer für Devisen, um damit Rinder aus dem Westen zu kaufen.

Eigentlich war die Ursache der massenhaften Pferdeimporte aus der SU der Druck der SU-Regierung auf die Staatsgestüte pro Jahr ein relativ großes Kontingent an Pferden nach Moskau zu liefern. Von dort traten die meisten dann den Weg nach Westen an, um hier gegen Devisen und Rinder eingetauscht zu werden. Das Gestüt "Agdam" beispielsweise musste jährlich 25 Pferde liefern, obwohl sie selbst vielleicht grade mal 50 Fohlen produzierten.

Dabei waren die Pferde, die aufgrund des wirtschaftlichen und politischen Chaos in der sich auflösenden Sowjetunion hier anlandeten, oft alles andere als „Ausschussware“. Was da im einzelnen den Transport gen Westen antrat, wussten aber leider selbst die Importeure nicht immer so ganz genau. Für so manch einen war alles, was von dort kam, einfach „russisch“ – schließlich waren ja auch die Papiere in kyrillischer Schrift ausgestellt. Moskau als Hauptstadt und Russisch als Amtssprache führten eben dazu, dass sich über siebzig Jahre lang die Gleichung „Sowjetunion=Russland“ in den Köpfen deutscher Bürger festsetzte. Erst  langsam sickerte hierzulande bei der großen Mehrheit der Bevölkerung die Erkenntnis durch, dass das künstliche Staatengebilde Sowjetunion noch ganz andere Länder, Sprachen, Religionen und Kulturen umfasste...

zum Beispiel Aserbaidschan

…unter anderem auch Aserbaidschan, mit völlig anderem kulturellem Hintergrund, anderer Sprache, anderen Landschaften und Klimata, anderer Religion und anderen – klar Pferden.

Der schicke Goldfuchs „Inturist“, den ich wider die Vernunft („Ich wollte gar keinen Hengst!“) dann gekauft hatte, stammte zum Beispiel aus dem Gestüt Agdam in Aserbaidschan, wie sich nach Übersetzung der Papiere herausstellte, und gehörte der Rasse „Karabagh“ an.

Die Region „Berg-Karabach“ im südlichen Kaukasus war lange Jahre und auch heute noch in den Nachrichten als ewig schwelender politischer Konfliktherd zu lesen, die Pferderasse gleichen Namens jedoch war weniger bekannt. Kein Wunder, gibt es derzeit (2023) doch schätzungsweise nur rund 50 von ihnen in Westeuropa und selbst im Ursprungsgebiet, dem heutigen Aserbaidschan, nur noch etwa 350 potentielle Zuchttiere. Dabei waren die Edelpferde aus dem „schwarzen Berggarten“, so die wörtliche Übersetzung von „Nagorni Karabach“, einst weltberühmt, hoch geschätzt und teuer bezahlt. Sie gehören einer sehr alten orientalischen Rasse an, die ihrerseits viele weitere Rassen, darunter auch westeuropäische, beeinflusste. Das genau zu rekonstruieren, ist allerdings schwierig, weil die Karabaghen in vergangenen Jahrhunderten als „Perser“, „Turkmenen“ oder „Türkenpferde“ ihren Weg in die Gestüte Europas fanden. Viele russische Rassen, so zum Beispiel Don und Budjonny, haben vom Karabagh den charakteristischen Goldglanz im Fell geerbt, der sie in der Sonne aussehen lässt wie ein frisch poliertes Goldstück. Der Metallglanz ist allerdings nur ein schönes Extra obendrauf: Das Beste am Karabagh-Pferd waren seit jeher seine unerschöpfliche Ausdauer, seine leichtfüßige Trittsicherheit in schwierigstem Gelände, seine Robustheit, seine Gewandtheit und seine oft gerühmte enge Bindungsfähigkeit an seinen Besitzer. „All das, was sich ein anspruchsvoller Freizeitreiter wünscht, schön auch noch seine potentielle Veranlagung zu Tölt und Pass, was die Pferde wirklich ganz besonders macht."

Kleiner Rassesteckbrief: Karabagh
Herkunft: Berg-Karabagh, Aserbaidschan
Größe: Um 150 cm Stockmaß
Farben: Fuchsfalbe, Braunfalbe, vor allem Goldfalbe
Typ: trockenes, orientalisches Pferd
Manche mit Gangveranlagung zum Tölt und Pass
Ursprüngliche Verwendung: Reitpferd zur Überwindung großer Entfernungen im Hochgebirge, Hirtenpferd ))

Vom Interesse zur Interessengemeinschaft

Als mir damals nach ersten Recherchen langsam dämmerte, dass ich mit „Inturist“ (siehe Foto) eine echte Rarität erworben hatte, und weil ich so begeistert von dessen Eigenschaften war, begann ich, Kontakt zu anderen Besitzern dieser seltenen Rasse zu suchen – woraufhin sich nicht nur Karabagh-Besitzer meldeten, sondern auch Menschen, die ein sonstwie „russisches“ oder „ex-sowjetisches“ Pferd, etwa einen Achal-Tekkiner, Don, Budjonny, Orlow Traber, Tersker oder Kabardiner im Stall stehen hatten und Näheres darüber wissen wollten. So entstand aus den ersten Kontakten im Jahr 1994 die „IG Karabagh und eurasische Pferderassen e.V.“ – mit dreizehn Mitgliedern, von denen fünf Karabagh-Pferde besaßen, und ich als erste Vorsitzende gewählt wurde. Eine der ersten „Amtshandlungen“ war die Beschaffung von Original-Stutbüchern der wichtigsten Rassen aus Moskau und aus Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. Dabei war letzteres gar nicht so einfach und gelang nur nach etlichen Erkundigungen und Telefonaten. Zu guter Letzt waren es Mitarbeiter der Lufthansa Cargo, die ganz unbürokratisch ihre Hilfe anboten und die ersehnten Bücher einfach mitbrachten. Heute bestehen enge Kontakte zum Landwirtschaftsministerium in Baku und zu Züchtern in Aserbaidschan – ich war inzwischen schon sechzehnmal dort, lernte Russisch, mittlerweile auch türkisch, da Aserbaidschan ein Land ist, das der Sprachengruppe türkisch sprechender Länder zuzurechnen ist (um mich mit den Menschen dort verständigen zu können). Ich fand neue Freunde – und neue Pferde. Heute (2023) besitze ich nach Inturist, gestorben 2009, der aber vom hessischen Ponyzuchtverband gekört und ins Hengstbuch I eingetragen wurde, weitere Hengste und Karabaghstuten sowie eine Achal-Tekkinerstute russischer Abstammung.

Dillboss und Quba – Raritäten der Pferdewelt

Wer meint, Karabaghpferde seien extrem selten und unbekannt, der irrt – oder haben Sie schon einmal was von Qubas und Dillbossen gehört? Ich hatte das auch nicht – bis ich in Aserbaidschan auf diese beiden Rassen stieß. „Dillbossen“, auch Delbaz, Dilbaz, Dillbass oder Deliboss genannt, sind arabisch anmutende Reitpferde, die in den 1930er Jahren von aserbaidschanischen bzw. sowjetischen Agrar-Ingenieuren aus verschiedenen orientalischen Pferdepopulationen Aserbaidschans gezüchtet wurden. Dabei spielten neben Vollblutarabern und Terskern auch die Karabaghpferde wieder eine Rolle. Dillbossen sind extrem hart, leistungsfähig und ausdauernd - und auch sie haben die Veranlagung zu Tölt und Pass! Genau wie die zweite seltene, jedoch nicht planmäßig gezüchtete Rasse aus Aserbaidschan, die Yorgas aus dem Gebiet um Quba im Ostkaukasus. „Ich dachte, ich sehe nicht recht, als ich auf dem Seitenstreifen der Schnellstraße von Baku nach Barda einmal Pferd und Reiter in rasantem Rennpass entlangflitzen sah – das war ein Yorga,“ erinnere ich mich an meine erste Begegnung mit der Rasse. Inzwischen habe ich nicht nur zwei dieser Rasse importiert, sondern auch eine Stute der verwandten türkischen Rasse Rahvan gekauft, die ebenfalls mit rasantem Passgang ausgestattet ist. Diese Raritäten nach Deutschland zu befördern war eine ziemlich stressige und organisatorisch aufwendige Angelegenheit,  aufgrund der schwierigen Importvorschriften der EU nicht ganz einfach. Nun aber haben die beiden Yorgas „Sariyal“ und „Karagöz“ ein neues Zuhause gefunden, bei Frauen, die gerade diese besonderen Eigenschaften bevorzugen und werden erfolgreich im Wander- und Distanzreiten eingesetzt.

Warum ausgerechnet diese Pferde?

Muss man denn wirklich unbedingt so exotische Rassen aus fernen Ländern importieren, wo es doch hierzulande eigentlich genug gute Reitpferde gibt? Diese kritische Frage ist sicher berechtigt, wenn die Motivation zum Erwerb eigentlich nur der Wunsch nach Exklusivität ist. Einen Karabagh oder Yorga hat schließlich nicht jeder. Mir und den übrigen aktiven Mitgliedern der IG, übrigens fast ausschließlich Frauen, geht es allerdings um etwas anderes: Wir möchten mit unserer Arbeit dazu beitragen, die vom Aussterben gefährdeten Rassen in ihren Ursprungsländern zu erhalten. Der „Pferde-Ausverkauf“ der Neunziger Jahre in Richtung Westen ist zwar inzwischen gestoppt und die Preise vor Ort sind gestiegen, aber nun droht eine neue Gefahr: Die der mangelnden Zuchtplanung und die der zu starken Einkreuzung von Fremdblut. „Die Karabaghen und Dillbossen werden in Aserbaidschan zum Beispiel nur nach der Rennleistung auf der Bahn selektiert, was dazu führt, dass immer mehr Araberblut eingekreuzt wird und keine reinrassigen Tiere mehr zu finden sind.“ Gab es zu sowjetischen Zeiten eine sorgfältig akademisch durchdachte staatliche Zuchtplanung, so wurstelt heute jeder Züchter irgendwie vor sich hin – ohne ein genaues langfristiges Ziel vor Augen. „Wir möchten durch unser Interesse gerne bei den Menschen vor Ort das Bewusstsein dafür wecken, dass sie mit ihren alten einheimischen Rassen ein ganz wertvolles Kulturgut besitzen, das es unbedingt zu erhalten lohnt und das unwiderbringlich verschwindet, wenn nicht bald etwas geschieht.“

Die Bemühungen scheinen Früchte zu tragen: So werden die in Deutschland nachgezogenen Karabaghs inzwischen im aserbaidschanischen Stutbuch eingetragen, zwei aserbaidschanische Züchter sind bereits Mitglied in der IG Karabagh und es findet ein intensiver Austausch zu Abstammungen und Zuchtplanung statt. Zudem war der aus Deutschland nach Aserbaidschan zur Zuchtauffrischeung  exportierte Hengst "Sagh-ol" (übersetzt: Danke oder bleib gesund) es wert, als Staatsgeschenk an Präsident R. T. Erdogan übergeben zu werden, sicher ein besonderes Zeichen der Dankbarkeit dem türkischen Staat gegenüber für die Hilfe in der kriegerischen Auseinandersetzung in der Region Berg-Karabagh.

Eine gehörige Portion Herzblut bei allen Beteiligten gehört natürlich auch dazu. „Nicht nur die Karabaghen, sondern fast ausnahmslos alle Pferde aus der ehemaligen Sowjetunion sind unheimlich zäh, ausdauernd, sensibel, leistungsbereit, lernbegierig, menschenbezogen und ehrlich! Kurz: Juwelen!“ habe ich auch bei den Aserbaidschanern versucht klar zu machen. Besitzer anderer „Russenpferde“ äußern sich ähnlich begeistert.  Die vielgerühmte Ausdauer und robuste Konstitution der Pferde ist das Ergebnis einer traditionell harten Zuchtauslese , die sich seit Jahrhunderten nie an der Schönheit, sondern immer nur an der Brauchbarkeit orientierte: In Ländern mit riesigen Entfernungen und teilweise extremen Umweltbedingungen muss ein Pferd nicht hübsch aussehen, sondern in erster Linie laufen – und durchhalten. Das bedeutet aber auch, dass Fohlen mit Stellungsfehlern der Beine oder Zähne keine Chance bekommen – etwas, das nicht jeder gerne hört, der davon schwärmt, wie „hart“ diese Pferde seien.

Fraglich ist auch, ob die in Deutschland gezogenen Fohlen sich zu den gleichen Pferden entwickeln wie diejenigen, die in großen Herden an den Hängen des Kaukasus grasen. Umso wichtiger, dass wir nicht nur seltene Pferde importieren, sondern vor Ort etwas dafür tun, dass die vierbeinigen Goldstücke auch weiterhin glänzen können.

Mission Haarprobe: Die Aserbaidschan-Reise 2007

Viele Reisen der IG Karabagh seit Oktober 2003, die ich als Vorsitzende der IG mit meist zwei weiblichen Mitgliedern mit aserbaidschanischen Pferden, standen ganz im Zeichen einer wichtigen Mission: Der Entnahme von Haarproben aus mehreren privaten Karabagh-Herden zum Zweck einer DNA-Analyse in Deutschland. Mit der gentechnischen Untersuchung des Materials in einem Gen-Labor in Poing sollen vor allem zwei Ziele verfolgt werden: Zum einen die Abstammung der vorhandenen Tiere überprüfen und dokumentieren, um damit künftig planvoller züchten zu können, und zum anderen herausfinden, was denn eigentlich genau das „Karabagh-Gen“ ist, sprich, was die Rasse genetisch von anderen unterscheidet. „Das wird spannend, und vor allem auch sehr interessant werden“ haben wir uns vor allem für die weitere Zucht vorgenommen. Die Ergebnisse werden auch den aserbaidschanischen Züchtern wieder zur Verfügung gestellt, damit diese sie für ihre Zuchtplanung nutzen können.

Neben der Arbeit gab es auch noch genügend Zeit für eindrucksvolle Begegnungen und Eindrücke. „Aserbaidschan wandelt sich gerade rasant zur Moderne,“ konnte man in Baku deutlich sehen, spüren und erleben „das gilt für Gebäude, Technik und Preise, aber auch die Pferdeszene.“ So wurden die ersten reitenden Frauen in Hosen gesichtet – in einer traditionellen islamischen Männergesellschaft etwas geradezu Unerhörtes  - und sogar der erste Westernsattel. Und dass Frauen aus Deutschland sich nicht nur für die heimischen Pferde interessieren, sondern sogar etwas davon verstehen, wundert nach Jahren der Bekanntschaft mit Verena Scholian in Aserbaidschan auch niemanden mehr.

IG Karabagh und eurasische Pferderassen e.V.
Verena Scholian
Vogelsbergweg 11
65462 Ginsheim
verena@scholian.de

Lesen Sie auch, wie es um Karabagh-Pferde in Westeuropa bestellt ist und meine Gedanken zur Zucht.